Forschung | 22. März 2024

«Active Sourcing» mit Machine Learning

Viele Unternehmen versuchen durch Personalvermittler:innen oder selbst via LinkedIn aktiv geeignete Führungskräfte zu identifizieren und anzusprechen. Doch welche Qualifikationen und Profile rücken Personalvermittler:innen bei Bewerbungen in den Vordergrund, und welche die Bewerber:innen?

Portrait Claude Meier Hwz

Dieser Beitrag von Sibylle Olbert-Bock, Bruno Wüest, Claude Meier und Franziska Weeber ist als Erstpublikation in der Januar/Februar-Ausgabe von «ORGANISATOR» erschienen. Es handelt sich also um eine Zweitpublikation.

Damit der Arbeitsmarkt optimal funktioniert, müssen Unternehmen beim Rekrutieren möglichst objektiv auf das Vorliegen der relevanten Kompetenzen von Kandidat:innen achten. Gerade bei offenen Stellen im Führungsbereich spielt die aktive Suche der Unternehmen nach Talenten – sog. «Active Sourcing» – eine wichtige Rolle. Hierbei sind auch Personalvermittlungsunternehmen von grosser Bedeutung, da sie oft mit dieser Suche beauftragt werden.

Unser Team von der OST und der HWZ hat Personaldokumente eines grossen Schweizer Personalvermittlungsunternehmens anonymisiert untersucht. Das Ziel ist, Profile zu identifizieren, die für Führungspositionen qualifiziert sind, deren Eignung jedoch alleine aufgrund «harter» Qualifikationsmerkmale im Lebenslauf nicht unbedingt kenntlich werden.

Für die zentrale Analyse wurden zwei Textsammlungen («Korpora») als Datenbasis genutzt: erstens die Selbstdarstellungen von Bewerber:innen, primär Motivationsschreiben für bestimmte Jobs (gut 22'000 Dokumente). Zweitens die Einschätzungsberichte des Personalvermittlungsunternehmens (gut 5'500 Dokumente).

Die Auswertung wurde auf Grundlage der beiden vollständigen Textsammlungen vorgenommen. Beide wurden einer induktiven Datenanalyse auf Basis eines dichtebasierten Clusterings und Word-Embeddings unterzogen. Weiter wurden die Topworte aus den Clustern extrahiert. Diese wurden mit Literatur zu Qualifikationen im Arbeitsmarkt abgeglichen. Nach der Auswertung konnten Aussagen zur Bedeutung von 28 unterschiedlichen Qualifikationsmerkmalen gemacht werden. Die einzelnen Merkmale wurden qualitativ-manuell in die fünf groben Eignungskategorien «Eignung für den Job», «Kognitive Kompetenzen», «Persönlichkeit», «harte Qualifikationen», «Soziale Kompetenzen» eingeteilt (siehe Tabelle). 

Eignungskategorien und Qualifikationsmerkmale im Bewerbungsprozess

Eignungskategorien und Qualifikationsmerkmale im Bewerbungsprozess

Bewerber:innen und Personalvermittler:innen gewichten unterschiedlich

Vergleicht man die Selbstdarstellungen der Bewerber:innen mit den Einschätzungen durch die Personalvermittler:innen mithilfe der genannten induktiven Analysemethode, fällt auf, dass Personalvermittler:innen Persönlichkeitsmerkmale mit 28% und kognitive Kompetenzen mit 18% deutlich stärker betonen als Bewerber:innen. Bei Letzteren sind es nur 18% resp. 13% (siehe Abbildung 2). Die Bewerber:innen gewichten mit 49% dafür die harten Qualifikationen wesentlich höher als die Personalvermittler:innen mit nur 41%. Schliesslich besteht bei den sozialen Kompetenzen eine Diskrepanz, welche die Bewerbenden mit 13% klar als wichtiger erachten als die Personalvermittler:innen mit 6%. 

Abbildung 2: Bedeutung der Qualifikationskategorien für Bewerber:innen und Personalvermittler:innen

Abbildung 2: Bedeutung der Qualifikationskategorien für Bewerber:innen und Personalvermittler:innen (© OST / HWZ)

Bedeutung der einzelnen Qualifikationsmerkmale

Sowohl in den Selbstdarstellungen der Bewerber:innen als auch den Einschätzungen durch die Personalvermittler:innen kommen die harten Qualifikationsmerkmale «internationale oder regionale Erfahrung, Sprachkenntnisse» und «Fachlichkeit, Berufserfahrung» besonders häufig vor sowie das Persönlichkeitsmerkmal «Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen und Selbstvertrauen» (siehe Abbildung 3). Daneben heben sich die harten Qualifikationsmerkmale «Branchen- und Marktkenntnis», «Aus- und Weiterbildung» und «Projekt- und Prozessmanagement» sowie die soziale Kompetenz «Kundenorientierung, Dienstleistungsbewusstsein» insofern ab, als sie bei den Bewerber:innen mehr Beachtung finden als bei den Personalvermittler:innen. Umgekehrt heben die Personalvermittler:innen die kognitive Kompetenz «Abstraktions- und analytische Fähigkeit», das Persönlichkeitsmerkmal «Sympathie, Gelassenheit» sowie die harte Qualifikation «Führungserfahrung und -stil» stärker als die Bewerber:innen hervor. Die einzelnen Merkmale der Kategorie der «Eignung für den Job» werden von beiden Seiten selten, dafür aber überraschend ausgeglichen genannt. 

Abbildung 3: Bedeutung der einzelnen Qualifikationsmerkmale für Bewerber:innen und Personalvermittler:innen

Abbildung 3: Bedeutung der einzelnen Qualifikationsmerkmale für Bewerber:innen und Personalvermittler:innen (© OST / HWZ)

Unterschiede zwischen Geschlecht, Funktionen und Branchen

Die Bedeutung verschiedener Qualifikationskategorien für Bewerber:innen und Personalvermittler:innen können zusätzlich nach Geschlecht, Funktionen und Branchen unterschieden werden (Abbildungen 4 und 5).

Dabei wird unter anderem sichtbar, dass Bewerberinnen Persönlichkeitsmerkmale und kognitive Kompetenzen leicht höher gewichten als Bewerber. Bewerber legen demgegenüber leicht mehr Wert auf harte Qualifikationen (Abbildung 4). Interessant ist, dass die Personalvermittler:innen die Bedeutung der harten Qualifikationen sowie der Persönlichkeitsmerkmale zwischen den Geschlechtern genau umgekehrt und vor allem viel unterschiedlicher gewichten (Abbildung 5): Bei den Bewerberinnen machen die harten Qualifikationen mit 56% deutlich mehr als die Hälfte der Nennungen aller Eignungskategorien aus. Im Gegensatz dazu sind es bei den Bewerbern mit 35% nur gerade etwas mehr als ein Drittel. Gleichzeitig achten die Personalvermittler:innen bei Bewerbern mit 33% fast ebenso stark auf die Persönlichkeitsmerkmale, während es bei Bewerberinnen nur 13% sind.

Bewerberinnen gewichten Persönlichkeitsmerkmale und kognitive Kompetenzen leicht höher als Bewerber.

Bei den Funktionen ist die Verteilung der Bedeutungen zwischen diesen für die Bewerber:innen nur leicht verschieden (Abbildung 4). Bei den Personalvermittler:innen fällt auf, dass sie bei Stellen in hohen Leitungsfunktionen (Geschäftsleitung, Verwaltungsrat) mit zehn Prozentpunkten Differenz klar mehr auf Persönlichkeitsmerkmale achten als bei Fachkräften und Sachbearbeiter:innen (Abbildung 5). Nicht ganz so stark, aber ähnlich ist der Unterschied zwischen der Funktion «Projekt-, Bereichs- und Teamleitung, Selbstständig» und «Fachkräfte, Sachbearbeitung».

In Bezug auf die Branchen sind die Unterschiede in den Bewertungen der Bedeutung der Eignungskategorien bei den Bewerber:innen insgesamt nicht so stark ausgeprägt (Abbildung 4). Bei den Personalvermittler:innen sind Differenzen zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und den kognitiven Kompetenzen erkennbar. Während für Stellen in «Informatik, Telekommunikation und Energie» sowie «Medizin, Pharma» Persönlichkeitsmerkmale als wichtig eingeschätzt werden, stehen bei den Stellen für «Beratung und Finanzdienstleistungen» die kognitiven Kompetenzen vergleichsweise stark im Vordergrund (Abbildung 5). 

Abbildung 4: Bedeutung der Eignungskategorien für Bewerber:innen nach Geschlecht, Funktion und Branche

Abbildung 4: Bedeutung der Eignungskategorien für Bewerber:innen nach Geschlecht, Funktion und Branche (© OST / HWZ)

Abbildung 5: Bedeutung der Eignungskategorien für Personalvermittler:innen nach Geschlecht, Funktion und Branche

Abbildung 5: Bedeutung der Eignungskategorien für Personalvermittler:innen nach Geschlecht, Funktion und Branche (© OST / HWZ)

Schlussfolgerungen

Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass bei der Rekrutierung neben den harten Qualifikationen auch den Persönlichkeitsmerkmalen eine hohe Bedeutung zukommt. Dies wurde vornehmlich durch die Analyse der Einschätzungsberichte des Personalvermittlerunternehmens sichtbar und betraf in besonderem Masse die männlichen Bewerber. Daneben spielt aber auch die Eignungskategorie der kognitiven Kompetenzen gerade für Personalvermittler:innen eine wesentliche Rolle. Diese variiert allerdings nach Branche relativ stark.

Durch die Ergebnisse wird empirisch gezeigt, dass ein Fokus alleine auf Lebensläufe und Motivationsschreiben tatsächlich nicht ausreicht, um die für eine bestimmte Führungsfunktion relevanten Kompetenzen einer Person zu erkennen. Es ist daher angemessen, die Forschung auch angesichts neuer Analysemethoden in diesem Bereich weiterzutreiben, um relevante Kompetenzen gerade im Softskills-Bereich früh und noch klarer zu erkennen sowie besser einordnen und verstehen zu können. Um die Ergebnisse zu validieren resp. noch belastbarer zu machen, wäre es zudem zweckmässig, die Daten weiterer Personalvermittlungsunternehmen auszuwerten.

Inhaltlich sprang in der vorliegenden Studie ins Auge, dass in den Einschätzungsberichten der Personalvermittler:innen den Persönlichkeitsmerkmalen im Falle von Männern wesentlich mehr Bedeutung beigemessen wurde als bei Frauen (21 Prozentpunkte Unterschied). Bei Letzteren wurde viel stärker auf die harten Qualifikationen geachtet. Demgegenüber messen die Bewerber:innen selbst diesen zwei Eignungskategorien eine ähnliche Bedeutung zu. Für die Personalvermittler:innen spielen Persönlichkeitsmerkmale ausserdem auch bei hohen Leitungsfunktionen eine grössere Rolle als auf Ebene Fachkräfte und Sachbearbeitung (10 Prozentpunkte Differenz). Verbunden mit dem genannten Unterschied zwischen Frauen und Männern bei der Beachtung von Persönlichkeitsmerkmalen kann dies darauf hinweisen, dass sich weniger Frauen auf hohe Leitungsfunktionen bewerben.

Mehr Wissen hierzu sowie ein bewussterer Umgang mit diesen Unterschieden kann Personalvermittlungsunternehmen helfen, Entscheidungen in der Personalbeschaffung zu verbessern. Den Bewerber:innen helfen diese Erkenntnisse, dass sie wissen, auf welche Eignungskategorie sie besonders fokussieren sollten. Auch sollten Bewerbende beiden Geschlechts bewusster auf die kognitiven Kompetenzen achten, denn die Personalvermittler:innen messen diesen generell mehr Gewicht bei als sie selbst. 

Autoren/Autorinnen

  • Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock, OST, Professorin für Leadership & HR / stv. Institutsleiterin Institut für Organisation und Leadership (IOL)

  • Dr. Bruno Wüest, HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, Datenwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Research & Methods

  • Prof. Dr. Claude Meier, HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, Leiter Center for Research & Methods und Fachreferent Strategisches Management

  • Franziska Weeber, textdata, Datenwissenschaftlerin