Aktuell | 12. März 2024

Gastbeitrag | Was internationale Medienexperten von 2024 erwarten

Anfang des Jahres veröffentlichte Nic Newman vom Reuters Institute seinen Trendreport 2024, der sich mit den Entwicklungen im Bereich Journalismus, Medien und Technologie auseinandersetzt. Die neun Schlüsselerkenntnisse der viel zitierten Studie im Überblick – ein Gastbeitrag von Studiengangsleiter Sven Ruoss.

Portrait Sven Ruoss Hwz

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation in der März-Ausgabe 2024 von «Schweizer Journalist:in» erschienen. Es handelt sich deshalb um eine Zweitpublikation.

Für die Studie beteiligten sich 314 Führungskräfte aus der Medienbranche – darunter CEOs, Chefredaktoren sowie Leiter von Digital- und Innovationsabteilungen – aus 56 Ländern an einer Umfrage. Auch Fachleute aus der Schweiz waren dabei.

1. Herausforderungen Im Überblick

Halb voll oder doch eher halb leer? Lediglich 50 Prozent der Studienteilnehmenden blicken optimistisch auf das aktuelle Jahr. Eine Kombination aus makroökonomischen und politischen Unsicherheiten sowie signifikanten technologischen Veränderungen, exemplarisch bei der generativen Künstlichen Intelligenz, sorgt unter den Befragten für eher trübe Aussicht. Sorgen bereiten vor allem die ansteigenden Kosten, rückläufige Werbeeinnahmen und eine Abflachung des Wachstums bei digitalen Abonnements. Immerhin: Die «Ära der Fake News» und gesellschaftlichen Zerrissenheit stärkt den Glauben an die Notwendigkeit von professionellem Journalismus. Zudem stehen 2024 weltweit eine Vielzahl an politischen und sportlichen Grossereignissen ins Haus – diese Events sollten die Mediennutzung kurzfristig ankurbeln können.

2. Veränderungen im Plattform-Ökosystem

Die Besucherzahlen von Nachrichten- und Medienunternehmen über Facebook haben sich im vergangenen Halbjahr halbiert. Bei X (vormals Twitter) sank der Verkehr um 27 Prozent im Jahresvergleich, bei Instagram um 10 Prozent. Diese Abnahme des Social-Media-Traffics zieht gravierende Folgen für Newsportale nach sich, was sich an internationalen Beispielen wie Buzzfeed News oder Vice News zeigt. Buzzfeed stellte seinen News-Kanal ein, Vice musste gar Insolvenz anmelden. Videobasierte Plattformen wie TikTok und YouTube sind zunehmend wichtige Kanäle für die Nachrichtenreichweite eines jüngeren Publikums geworden. Medienhäuser müssen hier allerdings gegen junge, plattformerfahrene Content Creator antreten. Im Jahr 2023 hat sich Whatsapp als eine neue Plattform für Nachrichten etabliert, wobei zum Beispiel «20 Minuten» bereits 130.000 und SRF News 56.000 Abonnenten auf Whatsapp verzeichnen. Ein Grossteil der Befragten gab an, sich 2024 wieder verstärkt um den Aufbau direkter Verbindungen wie Websites, Apps, Newsletter etc. zu bemühen. Grund: Die Kontrolle auf diesen Kanälen ist schlicht und einfach grösser.

3. KI-Revolution in der Onlinesuche

Google hat bereits eine experimentelle Version der KI-generierten Suche in mehr als 100 Ländern eingeführt. «Search Generative Experience» soll die Suchen grundlegend verändern. Google entwickelt sich immer mehr zu einer Plattform, die direkt Antworten auf der Ergebnisseite liefert. Es droht, dass dadurch die Links zu externen Websites an Aufmerksamkeit verlieren. Das Ergebnis: weniger Traffic via Google für Website-Betreiber. Ähnliche Entwicklungen werden auch bei anderen Anbietern wie Microsoft vorangetrieben. Für Schweizer Medienunternehmen, die im Jahr 2022 rund 23 Prozent ihrer Websitebesuche über Google erhielten - 20 Prozent bei kostenlosen Reichweitenmedien und sogar 37 Prozent bei Bezahlmedien -, stellt diese Entwicklung ein wachsendes Risiko dar.

4. Lizenzgebühren von KI-Plattformen

Fragen zum Thema Urheberrecht dürften 2024 verstärkt in den Fokus rücken. Bis Ende 2023 sperrten rund so Prozent der führenden Verlage KI-Plattformen den Zugang zu ihren Inhalten. In der Schweiz schränken zu Beginn des Jahres 2024 die meisten Medienhäuser, darunter Tamedia, 20Minuten, NZZ und CH Media, den Zugriff für OpenAl oder Google Gemini ein. Inhalte von SRG und Ringier bleiben jedoch für KI-Webcrawler zugänglich. Ob Vereinbarungen zwischen Medienfirmen und KI-Unternehmen, wie etwa die zwischen Axel Springer und OpenAl, branchenweit Schule machen werden, ist noch eine der offenen Fragen der Branche. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Medienmanager skeptisch bezüglich einer angemessenen Vergütung für ihre Inhalte sind. Ein Drittel glaubt, dass nur einige wenige grosse Medienunternehmen davon profitieren könnten, und die Hälfte vermutet, dass letztlich nur geringe Summen für die Verleger übrig bleiben.

5. KI in den Redaktionen

Die wichtigsten Anwendungen von KI in Nachrichtenorganisationen sehen die Befragten bei Back-End-Automatisierungsaufgaben wie beispielsweise Tagging, Transkription oder Lektorat (56 Prozent), gefolgt von Empfehlungssystemen (37 Prozent) wie etwa personalisierte Websites. Die Produktion von Inhalten wird von 28 Prozent als wichtige Anwendung bewertet - mit dem Zusatz: Report behandelt. Medienmanager sehen unter menschlicher Aufsicht 56 Prozent vor allem in der verständlichen Aufbereitung. Umfrageteilnehmer bewerten gleichzeitig den 1:1-Einsatz bei der Inhaltserstellung als grösstes Risiko.

6. Trend zu Audio und Video

Das Nachrichtenformat entwickelt sich zunehmend in Richtung Audio und Video. Insbesondere jüngere Zielgruppen würden diese Formate gegenüber Text bevorzugen. Video, Newsletter und Podcasts werden den Ergebnissen zufolge auch in diesem Jahr ausgebaut, während die Anzahl der Textinhalte stagniert. Für Redaktionen stellt das eine signifikante Veränderung dar -weg von rein textbasierten Inhalten hin zu einer vielfältigeren Multimedia-Produktion. Ein weiterer Trend: Podcasts werden vermehrt auch visuell inszeniert und über Plattformen wie YouTube verbreitet, um eine grössere Reichweite zu erzielen. Häufig werden auch Highlight-Clips erstellt, die dann auf Plattformen wie TikTok und anderen sozialen Medien geteilt werden, um dort Aufmerksamkeit zu generieren.

7. Mittel gegen Newsmüdigkeit

Auch das Problem der Nachrichtenüberlastung und -müdigkeit, von dem auch die Schweiz nicht verschont bleibt, wird im Report behandelt. Medienmanager sehen vorallem in der verständlichen Aufbereitung komplexer Themen (67 Prozent) ein Mittel gegen die Newsmüdigkeit. Als ebenso wichtig werden Inhalte bewertet, die dem Publikum Lösungsansätze aufzeigen (44 Prozent).

8. Diversifizierung der Erlösquellen

Die digitalen Einnahmen reichen trotz guter Wachstumsraten weiterhin nicht aus, um den Rückgang bei Print- und Werbeeinnahmen vollständig zu kompensieren. Medienmanager betrachten digitale Abonnements als zukünftig wichtigste Einnahmequelle, gefolgt von Erlösen aus Displaywerbung. Zusätzlich gewinnen Veranstaltungen und E-Commerce zunehmend an Bedeutung, wobei die Kombination von drei bis vier verschiedenen Einkommensströmen das Ziel vieler Verlage. Die Diversifikation der Erlösquellen ist auch bei Schweizer Medienunternehmen zu beobachten. So führte «Blick» im Sommer 2023 mit Blick+ ein neues digitales Abonnement ein, Tamedia erschloss mit dem Verkehrsmonitor einen neuen Geschäftszweig im B2B- Journalismus, und im NZZ-Shop werden exklusive Produkte angeboten.

9. Zunahme von Bundling-Strategien in der Medienbranche

Bundling-Angebote nehmen an Relevanz zu. Medienunternehmen wie die New York Times wollen ihre Kunden zu umfassenden «All Access»-Paketen hinführen, die eine Vielfalt an Inhalten – von Audio über Sport bis hin zu Koch- und Spielesektionen – bündeln. Solche Bundles helfen, Abonnenten besser zu binden und die Monetarisierung zu steigern. Auch das norwegische Medienhaus Schibsted setzt auf die Kombination von Nachrichten und Unterhaltung in einem Gesamtpaket. Es ist davon auszugehen, dass die Medienindustrie eine Zunahme solcher Kombi-Angebote erleben wird, die Nachrichten mit Spielen, Podcasts, Magazinen, Büchern und weiteren Inhalten verknüpfen. Darüber hinaus etablieren sich günstigere Lite-Versionen von Produkten, differenzierte Preisstrukturen und Paywalls auch bei traditionell frei zugänglichen Medien. Ein Beispiel dafür ist «Mail Online», das im Januar 2024 Mail+ zu einem monatlichen Abonnementpreis von 5 Pfund eingeführt hat.

CAS Digital Leadership HWZ

Sven Ruoss ist Studiengangsleiter des CAS Digital Leadership HWZ. Dieser Studiengang vermittelt den Studierenden die Grundkonzepte digitaler Geschäftsmodelle. Dabei erhalten sie konkrete Handlungsanleitungen, wie sie als Beraterin oder Berater, Intrapreneur oder als digitaler Transformator:in Unternehmen begleiten und Brücken zwischen den Kernleistungen der Gegenwart und der digitalen Zukunft bauen können. 

Die nächste Durchführung startet im August 2024. Jetzt informieren.